Die Nachtigall und der Quell

Category: Poetry
(Ballade)

1.

Wenn der Morgen uns grüßt,
wenn der erste Strahl
das Feld und den Quell küßt,
den Berg und das Tal,

wacht die Nachtigall auf,
und sie putzt ihr Gefieder
und blickt dabei zärtlich
zum Waldrand hinüber,

verlangt nach dem Quell,
der springt singend zu Tal
und verkündet die Schönheit
der Nachtigall.

Welch ein Zauber, wenn zwei
voller Liebe erglühn:
nie kann er sie lassen,
nimmermehr läßt sie ihn —

und so wunderbar zart
und doch fest ist der Bund,
und die Liebe so tief
und doch klar bis zum Grund.

In dem Quell badet morgens
die Nachtigall,
und da faßt ihn ein Glück
so groß wie das All,

und er sprüht Diamanten
in den Frühsonnenschein —
wer wollte nicht gern
solcher Liebe sich freun?

2.

Eines Morgens jedoch,
kurz vor Sonnenaufgang,
wird die Nachtigall wach,
reibt die Flügel sich blank,

und fliegt rasch zum Geliebten,
zum Quell...
Doch welch Leid!
Erstarrt sind die Wasser,
das blumige Kleid

seiner Ufer liegt schwarz.
Keine Regung, kein Laut,
kein Fließen, kein Flüstern mehr,
lieb und vertraut.

In Trauer gehüllt,
was einst glücklich gemacht —
was glänzte wie Silber,
ward schwarz wie die Nacht.

Und die Nachtigall fragt:
„Liebster Quell, sag mir schnell,
was ist nur geschehn ?“
Und es klagte der Quell:

„Vorbei zog der tückische
Feind unsres Lands,
er hat mir die Wasser
vergiftet ganz.

Er war auf der Flucht,
und sein Gift brennt in mir,
um zu töten den standhaften
Recken Batyr.

Er weiß, daß der Held
meinen Fluß bald passiert,
er weiß, daß Batyr
hier sehr durstig sein wird.

Doch trinkt er das Gift,
ist er unrettbar tot,
und der Feind hat die Macht,
und das Land leidet Not.

Ach, Liebste, du Klügste,
sag doch an: Was tun wir,
die Heimat zu retten
und den Helden Batyr?“

Die Nachtigall lauschte,
die Nachtigall sann.
Dann sprach sie erleichtert
„Mein Liebster, hör an:

Er kommt, um zu trinken —
mein Quell, glaube mir:
ich werde ihn warnen,
den jungen Batyr!“

3.

Und es naht der Batyr.
Sein Schwur und sein Schwert
sind härter als Stahl
und so alt wie die Erd’,

Sein Land liebt er so,
wie die Feinde er haßt,
und er jagt sie und gönnt sich
nicht Ruh und nicht Rast.

Aber jetzt ist er müd,
denn Durst quält ihn sehr —
wenn doch hier ein Schluck Wasser,
wenn ein Tröpflein nur wär!

Da erblickt er den Quell,
ganz vom Durst ausgezehrt,
und er reitet draufzu,
und er springt rasch vom Pferd,

wirft dem Bach sich entgegen
— halb Lauf, halb schon Fall -
da plötzlich singt strahlend
die Nachtigall.

Sie singt und sie schluchzt,
und der Recke Batyr
hebt das Antlitz vom Quell,
blickt verwundert zu ihr.

Sie schluchzt und sie singt
von Lieb und von Not,
von dem Leid, das den arglosen
Liebenden droht.

Und ihr Lied steigt empor,
rühmt die Standhaftigkeit
und den Kampf, der die Heimat
von Feinden befreit.

Und sie lobpreist das Herz,
das zum Herzen strebt,
und die Lieb und die Treu,
die den Tod überlebt.

Ihr Lied ist voll Jubel,
ihr Lied schluchzt so bang,
und ihr Herzblut strömt
in den flammenden Sang.

Und es rührt den Batyr,
wie sie jubelt und klagt,
doch er kann nicht verstehn,
was die Nachtigall sagt.

Ihn ergreift ihre Liebe,
bedrückt ihre Not,
doch er kann nicht verstehn,
daß Tod ihm droht,

4.

Da das Lied nun verklungen,
neigt der Recke Batyr
sich dem Quell wieder zu,
doch als er ihn berührt,

fliegt der Vogel herbei,
pickt die Tropfen ihm schnell
vom Mund, und vergiftet
stürzt er in den Quell.

Und der Quell, der geliebte,
umarmt ihn im Fall,
so von Wellen umkost,
stirbt die Nachtigall.

Da bäumt sich der Quell,
verbrennt in der Pein -
wo er sprang, wo sie sang,
liegt ein brandschwarzer Stein.

Von dem Wunder bewegt,
sitzt der Recke und sinnt
und begreift, daß allmächtig
die Liebenden sind,

erhebt sich beherzt
und springt auf sein Pferd,
voll Haß auf den Feind,
der das Liebste zerstört.

Da wächst ihm Kraft
aus dem, was geschehn,
und er schwört, seinem Schwert
soll kein Mörder entgehn.

Frei sei das Vaterland,
dem er entstammt!
Liebe zum Volk
hat das Herz ihm entflammt.

Fürs Volk soll es brennen,
fürs Volk solls verglühn,
wie Quelle und Nachtigall
starben für ihn.
July 1942